Ich habe lange nach der versteckten Kamera geschaut und leider keine gefunden. Nach diversen lustigen, interessanten, erheiternden ZugGeschichten mit bunten Charakteren sitzt nun der fleischgewordene Ausnahmezustand neben mir. Am Bahnsteig habe ich die Frau schon gesichtet und mit offenem Mund ihr Spektakel beäugt. Es bestätigt sich wieder: Ich hab einfach ein Auge für die Freaks und den dazugehörigen Befindlichkeiten. Die Dame aus Haut und Knochen ist die gesamte WarteZeit auf dem Bahnsteig rumgewandert und hat an einem Brötchen gelutscht. Nichts Verrücktes würde man denken. Aber sie hat immer wieder das Stück Brot in feinster Miniaturarbeit in die Tüte zurück befördert. Jede gelegte PapierFalte hätte man mathematisch nachberechnen können. Immer wieder wiederholt sie ihr Tun. Raus aus der Tüte! Rein in den Mund! Und rückwärts. Tja, dachte ich, einfach ne arme Sau. Tut ja auch leid. So aus der Ferne betrachtet.
Ganz nah habe ich Angst. Warum gerade neben mir!? Ich rutsche so weit auf die Aussenkante des Polsters, dass man meinen Sitz glatt nochmal bebuchen könnte (mein Po ist in meiner Vorstellung gewollt kleiner). Die Ticks sind heftig. Nachdem gerade fünfmal die Hände akribisch desinfiziert wurden – zentimeter für zentimeter, bis zur Achselhöhle wohlgemerkt – hantiert die Dame nun mit Duftkärtchen. Schwerer Männerduft wabert durch den Gang. Sie riecht, faltet und steckt sie wieder sorgsam in die Innentasche ihrer Jacke. Nicht einmal. Nicht zweimal. Ich wage es garnicht zu zählen. Hinzu kommt ein ständiges Ab- und Anlegen der Uhr. Die tickt wenigstens richtig, denke ich noch, als der Schaffner zur Ticketkontrolle kommt. Das klingt plötzlich voll passend. Hilfe! (voll glückseelig über meine Macken… die mir nun vollkommen grossartig vorkommen)