Winter 1997. Ich wälze den dritten blauen Schnellhefter. Asiatisch, Tribal, Totenköpfe. Die Plastikfolien knistern. Fast wie beim Friseur. Hier die Modelle mit Dauerwelle, hier die flotten Kurzhaarfrisuren für die praktisch modische Frau. Nur die Geräuschkulisse ist eine ganz andere. Das Surren der Maschine vergisst man nicht. Und auch die erste längere Kontur bleibt im Schmerzempfinden fest verankert. „Hast was gefunden?“, fragt mich der Tattowierer. Ich schaue seit 20 Minuten. Das ist es. Meine Wahl fällt auf ein Tribal. Keine Bedeutung. Kein Bereuen. Andere hadern lebenslang mit dem passenden Motiv. Und lassen sich womöglich nie Stechen. Ich bin da wohl sehr spontan. Mein Bruder sitzt schon auf dem Lederhocker und beginnt zu Schwitzen. Ein Familientag im Tattoostudio. Gemeinsam Stechen! Und wer hatte die Idee: meine Mutter! Es gehörte zum postschulischen Nachmittagsprogramm, dass man sich den neuesten Trash mit Talkshows reinzieht. Arabella und Britt ganz weit vorne. Wer hat mit wem, was oder wie betrogen? Und wer im Publikum dreht heute durch? Das war Soziologie auf der untersten Ebene. Mit Kippe und Kaffee aber sehr unterhaltsam. Nur die Folgen mit Vorher-Nachher-Frisuren waren gefährlich. Ich bereue heute noch die Versuche mit der großen, orangenen Plastikschere. Ups, Pony like a Backpinsel! Aber ich schweife ab. Es kam die Folge mit dem verrücktesten Körperschmuck. „Mensch, das wäre doch auch was für dich und deinen Bruder! Könntet ihr euch zu Weihnachten schenken?!“, kommentiert meine Mutter den Auftritt einer komplett plakatierten Dame. Ich weiss gar nicht mehr, was ich da geantwortet habe. Am Ende sitzen wir also auf der schwarzen Ledercouch beim Tattowierer des Dorfes. Und da ist es dann entstanden, dieses Tribal. Mein Weihnachtsgeschenk. Meine Jugendsünde? Ne. Das wäre die falsche Bezeichnung. Ich fand es mega! Damals. Mit der lauten Mukke, den geliebten Boots, dem Nasenpiercing, dem Lodderlook, dem Dauerdurst auf Fanta/Korn und dem Tanzen in FestivalZelten. Eisbär neben Metal Band. Und das alles verpackt in mein gut behütetes Leben mit Bausparvertrag. Dieses Tribal passte einfach zu mir. Und hängt seither an meiner Schulter. Aber, schöner wird es nicht. Es erinnert ein wenig an eine Katze mit Strohhut… oder kennt einer King Julien aus dem Film Madagaskar? Jep, die Ähnlichkeit ist da. Und jetzt ist es also an der Zeit, dem Stück jugendlichem „Freiheitsgefühl“ ein neues Gewand zu geben. So lange hadere ich schon mit dem richtigen Motiv, Muster, Stil. Aus den damaligen 20 Minuten Bedenkzeit wurden 20 Jahre. Immer wieder kam etwas dazwischen. Kontostand, Kinder, Corona. Jetzt ist Schluss. Jetzt wird neu frisiert. Die Vorfreude ist riesig!